Digitalisierung beginnt IN sozialen Organisationen: Bei den Menschen und der Haltung

Frau und Mann vor einer Planwand mit Post-Its

Digitalisierung – das Wort löst bei manchen schauen Seufzen und den frustrierten Blick gehn Himmel aus. Denn viel zu oft wird es inflationär verwendet und nur auf Technik, Tools und Kommunikation reduziert. Doch Digitalisierung muss IN sozialen Organisationen beginnen. Lange vor der Technik müssen die Menschen und die Haltung im Fokus stehen.

Zugegeben: Auch ich gehörte einige Zeit zu den Kommunikatoren, die Digitalisierung der sozialen Arbeit primär als Kommunikation, genauer gesagt als Marketing und Öffentlichkeitsarbeit in den Social Media, gesehen haben. Doch im Lauf der letzten Jahre durfte ich mit vielen Trägern und Einrichtungen arbeiten, mit dutzenden Sozialarbeitenden sprechen und Projekte begleiten. 

Diese Erfahrung sorgt dafür, dass ich inzwischen einen anderen Fokus setze und Digitalisierung umfassender verstehe. Statt über Tools, Technik und Kommunikationsstrategien zu sprechen, möchte ich mich heute daher auf den wichtigsten Aspekt fokussieren: 

Digitalisierung muss in sozialen Organisationen beginnen. Lange bevor wir über Technik, Tools und so weiter sprechen müssen Gespräche mit den Mitarbeitenden, den Menschen stehen. Und wir müssen über die Haltung, die gemeinsamen Werte und das gemeinsame Verständnis der Arbeit und der Ziele der Organisation und der Menschen sprechen.

Digitalisierung lebt durch die Menschen

Klingt selbstverständlich und banal, oder? Ist es auch – theoretisch. In der Praxis werden genau diese Menschen – die Mitarbeitenden in sozialen Organisationen – jedoch viel zu oft vernachlässigt. Zu selten werden sie vor Einführung von Systemen und Tools nach ihren Bedürfnissen gefragt. Noch seltener werden Mitarbeitende aller Bereiche in die Entwicklung der Digitalisierungsstrategie und in den Prozess der Digitalisierung eingebunden. 

Beides ist jedoch essenziell. Drei Fragen stehen für mich dabei immer am Anfang des Prozesses:

  1. Was meinen wir, wenn wir über Digitalisierung sprechen?
  2. Warum wollen wir digitalisieren und was erwarten wir davon?
  3. Was genau wollen wir digital gestalten?

Frage zwei und drei werden meist diskutiert, doch Frage eins wird immer wieder beiseite gewischt, oft mit dem Satz „Das ist doch klar“. Ist es das wirklich? Meiner Erfahrung nach nein. 

Innerhalb einer sozialen Organisation, ja sogar innerhalb eines Teams, verstehen die Mitarbeitenden oft ganz verschiedene Dinge unter Digitalisierung. Logischerweise haben sie dann auch ganz unterschiedliche Erwartungen, Hoffnungen, Ängste, Vorbehalte und Ansprüche an einen Digitalisierungsprozess. 

Dieses gemeinsame Verständnis muss daher zunächst durch Austausch, Diskussion und gemeinsame Arbeit entwickelt werden. Warum diese Themen viel zu oft vermieden werden, beschreibt Kollege Hendrik Epe in einem lesenswerten Artikel so: 

Es ist viel härter, ernsthaft über die Frage zu sprechen, wie im Team zusammengearbeitet werden soll, als über die Anschaffung von ein paar Tablets für was auch immer. Es ist viel härter, das eigene Menschenbild zu hinterfragen, als eine Entscheidung über die Finanzierung von Projekt XY zu treffen. Es ist viel härter, den eigenen Machtanspruch aufzugeben, das eigene Ego zurückzustellen und alle Mitarbeiter*innen zu beteiligen, als “mal richtig auf den Tisch zu hauen”.

Hendrik Epe

Digitalisierung kann und muss in sozialen Organisationen gestaltet werden

Digitalisierung ist kein Naturphänomen, keine externe Entwicklung, der soziale Organisationen hilflos ausgeliefert sind. Es ist jedoch ein Veränderungsprozess, der aktiv gestaltet werden kann und muss. 

Ganz konkret einige Punkte aus meiner Arbeit die zeigen, warum diese Gestaltung nur mit einem Fokus auf die Menschen und die Haltung gelingen kann:

  • Wenn digitaler gearbeitet wird, ist davon auch die interne Kommunikation betroffen. Viele Mitarbeitende haben dann beispielsweise leichteren Zugang zu Informationen. Das bedeutet allerdings gerade Führungskräfte der mittleren Ebene eine massive Veränderung. Wenn sie bisher ein Informationsmonopol hatten und ein großer Teil ihrer Arbeit daraus bestand, E-Mails und andere Informationen weiterzuleiten, fällt das jetzt weg. Dann müssen Aufgaben, Positionen und Stellenbeschreibungen neu gedacht werden und Menschen müssen die Veränderung mitgehen und gestalten. 
  • Digitales Arbeiten kann spürbare Vorteile haben und die Arbeit erleichtern. Doch diese Wirkung tritt erst nach einer Eingewöhnungsphase und einiger Vorarbeit und Umstellung ein. Die dafür notwendige Energie investieren Menschen aber nur, wenn sie den Nutzen, Sinn, Zweck und Wert der Neuerungen verstehen. Wenn ich beispielsweise Tablets anschaffe, dann muss das auch einen Vorteil für den Mitarbeitenden haben. Es darf keine Parallelstruktur zum bestehenden Papier-Workflow sein, sondern muss tatsächlich alte und nervige Aufgaben ersetzen oder erleichtern.
  • Wenn sich Kommunikation oder Arbeitsabläufe durch Technik und neue Möglichkeiten verändern, müssen wir auch über neue Regeln sprechen. Im Team, aber auch mit Klienten/in. Und da kommt ganz schnell die Frage nach dem gemeinsamen Menschenbild und nach der gemeinsamen Wertegrundlage. Dann geht es auch darum, wer kompromissbereit ist, wer seine oder ihre Art der Arbeit und Kommunikation unbedingt durchdrücken will und wer tatsächlich in der Lage ist, im Team zu moderieren und gemeinsame Lösungen zu finden.
  • Und ein letzter Aspekt: Es wird Mitarbeitende geben, die die Veränderung nicht mitmachen wollen, wenn sie beispielsweise kurz vor ihrem Ruhestand stehen. Das ist kein Vorwurf, sondern verständlich. Wer seit 30 oder 40 Jahren in den bestehenden Strukturen gearbeitet hat und auf einmal implizit, oder im schlimmsten Fall explizit, gesagt bekommt: „Was du machst ist veraltet und schlecht“ fühlt sich natürlich nicht wertgeschätzt. Hier muss nicht nur kommuniziert, sondern vor allem ein Weg gefunden werden, diese Mitarbeitenden mitzunehmen ohne sie unbedingt in neue Strukturen zu zwingen. 

Daher geht es darum, mit den Menschen zu sprechen und auch ihre Bedürfnisse zu erkennen. Bei Digitalisierungskonzepten nicht nur den Führungszirkel mit einzubeziehen, sondern Mitarbeitende aus allen Bereichen. Auch und gerade Menschen, die wirklich Erfahrung mitbringen.

Roland Knillmann erklärt, warum er den Begriff des digitalen Wandels gegenüber dem Digitalisierungsbegriff bevorzugt. Den ganzen Podcast findest du hier.

Der Veränderungsprozess der Digitalisierung ist eine Aufgabe der sozialen Organisation selbst

Die bisher beschriebenen Punkte machen eines deutlich: Die Gestaltung des Digitalisierungsprozesses muss in der sozialen Organisation stattfinden und lässt sich nicht auslagern. Eine ernstgemeinte Digitalisierungsstrategie führt aus meiner Sicht immer zu Veränderungen in der Organisation. Und sei es nur, dass zwar formal das Organigramm erhalten bleibt, aber die Hierarchiestufen durchlässiger werden.

Digitalisierungskonzepte können, vielleicht sogar müssen, daher zwar mit externer Unterstützung erarbeitet werden. Doch die soziale Organisation muss dabei immer federführend sein und die Umsetzung selbst leisten. Unterstützung ist dabei hilfreich, doch der Kern bleibt in der Organisation. 

Wie siehst du das? Lass uns gerne in den Kommentaren, oder per E-Mail unter cm@sozial-pr.net, diskutieren. Dieser Blogartikel ist ein lebendiges Projekt, das bedeutet, ich ergänze ihn gerne mit anderen Haltungen und Argumente, die in der Diskussion in den Kommentaren aufkommen. Auf Wunsch auch gerne mit namentlicher Nennung.

P.S.: Wenn du dich grundsätzlich dem Thema Digitalisierung nähern willst, empfehle ich dir Ausgabe drei vom about:social Podcast von Benedikt Geyer. Er hat da sehr gute Ansätze drin.


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