Menschenfreundliche Arbeit im Digitalen – (M)Ein Konzept für 2025

Eine Gruppe von vier Personen in einem modernen Büro, die an einem Projekt zusammenarbeiten. Im Vordergrund sitzt eine lächelnde Frau mit Brille und arbeitet an einem Laptop. Im Hintergrund diskutieren die anderen, einer hält ein Tablet in der Hand. Auf der rechten Seite befinden sich blaue Symbole, die ein Herz, eine Gruppe von Menschen, ein Telefon und ein Buch darstellen, die Zusammenarbeit und Kommunikation symbolisieren. Die Atmosphäre ist professionell und kollaborativ.

Organisationen der Sozialwirtschaft, Wohlfahrt und Sozialen Arbeit arbeiten heute mindestens teilweise digital. Spätestens die Corona-Pandemie hat diese Entwicklung beschleunigt. Doch leider blieb und bleibt es oft dabei, neue Werkzeuge technisch einzuführen, statt sie wirklich in die Organisation zu integrieren.

In solchen Fällen werden digitale Werkzeuge schnell zu einer Belastung, statt die Arbeit zu erleichtern. Deshalb müssen wir uns endlich damit befassen, die digitalen Werkzeuge in sozialen Organisationen wirklich zu verstehen und zu integrieren. Wir brauchen menschenfreundliche Arbeit im Digitalen.

Warum Technik allein nicht reicht: Ein Praxisbeispiel

Als Illustration für meine These ein kurzes Beispiel, das ich in verschiedenen Varianten in den letzten Jahren oft angetroffen habe:


Ein Träger im Sozialbereich hat Microsoft Teams eingeführt und digital auf Office365 umgestellt. Alle Mitarbeitenden haben eine virtuelle Einführungsschulung zur Bedienung des Programms bekommen und Erklärvideos stehen bereit.

Jede Abteilung hat ein eigenes Team bekommen, erste Kanäle wurden nach Arbeitsbereichen eingerichtet. Heute, mehr als zwei Jahre nach der Einführung, werden Teams sehr unterschiedlich verwendet.

Manche Mitarbeitende sind dort sehr aktiv, andere loggen sich nur ein, wenn sie müssen und wieder andere kommen mit reiner E-Mail-Kommunikation gut klar.


Eines haben alle jedoch gemeinsam: Die zahlreichen Kommunikationskanäle und deren inkonsistente Nutzung verursachen Zusatzarbeit und werden für manche Mitarbeitenden zu echten Stressfaktoren.

Kommt euch dieses Szenario, ihr könnt Microsoft Teams und Office 365 gegen jede beliebige Software austauschen, bekannt vor?

Leider treffe ich dieses Muster immer wieder an. Meine Frustration mit dieser Situation habe ich in das Konzept der menschenfreundlichen Arbeit kanalisiert.

Menschenfreundliche Arbeit im Digitalen: Die fünf Prinzipien

In sozialen Organisationen wurde und wird oft die Frage gestellt: Welche Technik brauchen wir für unsere Arbeit?

Die Frage ist berechtigt, sollte jedoch direkt von einer zweiten Frage begleitet werden, die fast nie gestellt wird:

Wie nutzen wir als Organisation und mit unseren Mitarbeitenden diese Technik so, dass sie uns wirklich weiterbringt?

Meine Antwort: Indem wir bewusst eine Organisation schaffen, in der menschenfreundlich gearbeitet werden kann.

Mein Konzept ist natürlich nicht völlig neu, sondern integriert Ideen und Ansätze aus verschiedenen Bereichen und Modellen. Was aus meiner Sicht den Unterschied macht, sind die fünf Prinzipien, die als Basis menschenfreundlicher Arbeit im Digitalen dienen:

1. Erwartungen und Intention für digitale Lösungen müssen transparent kommuniziert werden

Wenn neue technische Lösungen eingeführt werden, muss allen Mitarbeitenden, die damit arbeiten sollen, das Warum für diese Neuerung klar kommuniziert werden. Das setzt natürlich voraus, dass die Verantwortlichen ihre Erwartungen und die Gründe für diese Einführung klar und überzeugend benennen können.

Als Werkzeug dafür, ob das der Fall ist, gebe ich immer eine Frage mit: Wenn eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter zu Ihnen kommt und fragt: „Wie wird diese Neuerung meine Arbeit verbessern?“ habt ihr dann eine überzeugende und tragfähige Antwort parat?

2. Ein klarer Rahmen und Regeln sind unentbehrlich – und liegen in der Verantwortung der Organisation

Dienstsmartphones, Messenger und Intranetsysteme werden für Mitarbeitende dann zu Stressfaktoren, wenn sie entweder die Arbeit stören – beispielsweise durch Ausfälle – oder wenn sie als Vehikel für ständige Erreichbarkeit verstanden werden.

Letzteres ist immer dann der Fall, wenn nicht klar geregelt ist, wo was wie und wann kommuniziert wird und wie lange jemand erreichbar sein sollte. Und damit meine ich nicht die offizielle Arbeitszeit, sondern die reale Erwartung innerhalb eines Teams.

Aus meiner Sicht sind es soziale Organisationen und Führungskräfte ihren Mitarbeitenden schuldig, hier einen klaren Rahmen und klare Erwartungen zu schaffen. Regeln können und sollten gemeinsam im Team erarbeitet werden, doch schlussendlich muss es sie geben.

3. Alle Menschen müssen befähigt werden, die Technik sinnvoll zu nutzen

Ich schreibe bewusst „alle Menschen“ und nicht nur Mitarbeitende, weil sich manche digitalen Angebote auch an Klientinnen und Klienten richten. Doch wer auch immer mit Technik arbeiten soll: Er oder sie muss in die Lage versetzt werden, diese Technik auch zu beherrschen und kompetent zu nutzen.

Und nein, eine einmalige Schulung in der Bedienung eines Programmes reicht dafür nicht aus. Es braucht kollegialen Austausch, fortlaufende Schulungsangebote und Unterstützungsmöglichkeiten.

Wer jetzt die Augen verdreht und das als zu teuer verwirft, ist herzlich eingeladen, die zahlreichen verschwendeten Arbeitsstunden auszurechnen, die durch fehlende Kenntnisse digitaler Systeme zusammenkommen. Von der Frustration und den Nerven der Mitarbeitenden ganz zu schweigen.

4. Die Vermittlung grundlegender Kompetenzen für digitales Arbeiten muss strukturiert stattfinden

In fast jeder Stellenausschreibung werden Kenntnisse mit Microsoft Office und ähnlicher Bürosoftware vorausgesetzt. Doch wie viele Menschen, die heute im Sozialbereich – oder in anderen Wirtschaftsbereichen – arbeiten, haben diese Software wirklich vermittelt bekommen und beherrschen sie? Aus meiner Praxis würde ich sagen: sehr wenige. Bis Anfang der 2000er Jahre waren Office-Kurse übrigens Standard.

Danach gingen alle davon aus, „dass das ja jeder kann“. Aus meiner Sicht ein Fehler. Neben diesen Anwendungskompetenzen müssen jedoch auch Kompetenzen zum Selbst-, Aufgaben- und Zeitmanagement im digitalen Kontext vermittelt werden. Wie viele Fachkräfte können beispielsweise die Benachrichtigungen in Teams oder die unten verwendete Messenger-App wirklich konfigurieren und tun dies auch? Wer hat gelernt, mit zahlreichen Informationskanälen umzugehen, diese zu priorisieren und sich selbst zu organisieren?

Manche sehen solche Kompetenzen als selbstverständliche Grundlagen an, die Mitarbeitende mitbringen müssen. Meine Frage: Woher sollen die kommen? Wer sich nicht zufällig für Selbstorganisation und Produktivität interessiert und sich darüber informiert, erwirbt diese Fähigkeiten nur irgendwie nebenbei, doch nie strukturiert. Das müssen wir ändern.

5. Menschliche Rhythmen und Grenzen werden beim digitalen Arbeiten respektiert

Digitale Werkzeuge und auf ihnen basierende Prozesse sind in der Regel mit einer höheren Kommunikationsgeschwindigkeit und Informationsdichte verbunden als analoge Vorgänge. Diese Beschleunigung wird häufig als Vorteil und Effizienzsteigerung gesehen und verkauft. Doch in der Praxis sozialer Einrichtungen – und so mancher Unternehmen – führen Geschwindigkeit und Informationsverdichtung zu Stress und Überforderung der Menschen.

Diese These mache ich an einigen Beispielen fest, die euch vielleicht bekannt vorkommen. Bei Präsenzterminen planen wir meist genug Pufferzeiten für An- und Abfahrt und Vor- und Nachbereitung ein. Digitale Termine werden jedoch fast aneinandergeklebt, teilweise ohne jeden Zeitpuffer.

Die Dauer von Terminen wird teilweise von Präsenzterminen eins zu eins auf virtuelle Termine übertragen. Und das obwohl längst klar ist, das Videokonferenzen und virtuelle Termine anstrengender sind und mehr Konzentrationsleistung erfordern als Präsenztermine. Außerdem wächst die Zahl der Besprechungen – viele davon hätten eine Nachricht oder E-Mail sein können – durch virtuelle Formate häufig an, weil virtuelle Termine scheinbar mit weniger Aufwand verbunden sind als Treffen in Präsenz.

Die wachsende Zahl der Informationskanäle und die die einfache Verbreitung von Informationen führt zu einer Inflation der Kommunikation. Statt sich bewusst zu machen, welche Information für wen relevant ist, wird schnell „Allen antworten“ angeklickt oder Kanäle mit Beiträgen geflutet, von denen nur ein Bruchteil relevant sind.

Zur menschenfreundlichen Arbeit im Digitalen gehört, dass wir uns auf die menschlichen Rhythmen und Grenzen besinnen und manche Entwicklung bewusst zurückdrehen. Wie viele Besprechungen sind nötig und – wenn auch noch gearbeitet werden soll – sinnvoll? Ist eine Chat-Konversation oder E-Mail-Ping-Pong wirklich sinnvoll – Spoiler: Die Antwort lautet fast immer nein – oder sollten wir vielleicht miteinander sprechen? Wann ist welcher Kommunikationskanal angebracht? Und wie sorgen wir dafür, dass kommunizierte Informationen auf das Wesentliche beschränkt bleiben?

All diese Fragen sollten in der Organisation und in den Teams strukturiert beantwortet werden. Digitales Arbeiten ist nur menschenfreundlich, wenn wir nicht technische Machbarkeit, sondern inhaltliche Relevanz zum primären Kriterium für Informationsvermittlung machen.

Menschenfreundliche Arbeit im Digitalen: Ein lebendes Konzept

Dieser Artikel ist die öffentliche Premiere meines Konzepts, denn bisher habe ich das nur in meinen Notizen und der einen oder anderen Digitalstrategie verschriftlicht.

Wie alle guten Konzepte wird es weiterentwickeln und nach und nach von mir verfeinert. Die hier dokumentierte erste Version ist das Ergebnis meiner Arbeit der letzten 4 bis 5 Jahre mit zahlreichen sozialen Organisationen.

Ich setze es in meiner aktuellen und künftigen Arbeit und werde aus der praktischen Anwendung sicher vieles lernen und in die Verfeinerung einfließen lassen.

Doch wie immer gilt: Ich freue mich auf euer Feedback!

Was haltet ihr vom Konzept der menschenfreundlichen Arbeit im Digitalen?

Ich freue mich auf euere Kommentare.


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