In den letzten Jahren durfte ich mit vielen Kommunikator*innen, großen Wohlfahrtsverbänden, kleinen sozialen Trägern, unabhängigen NGO und vielen anderen Einrichtungen im sozialen Bereich arbeiten. Bei den meisten, auch den wirklich großen, gibt es keine oder nur sehr kleine Teams, die sich primär um Online-Kommunikation, Content-Marketing oder ähnliche Aufgaben kümmern.
Oft sind die Aufgaben so verteilt, dass, wenn es Teams gibt, diese viele Hüte aufhaben – von der PR über die Öffentlichkeitsarbeit bis hin zur grafischen Gestaltung und Webseitenbetreuung.
Diese mangelnde Ressourcenausstattung zeigt, dass der Online-Kommunikation noch immer zu wenig Priorität eingeräumt wird. Neben der Frustration für Kommunikator*innen führt das für die Verbände und Organisationen zu einem massiven Problem. Und das nicht morgen, sondern bereits heute.
Denn die Online-Landschaft entwickelt sich rasch weiter, sei es durch Updates von Algorithmen oder durch von Künstlicher Intelligenz (KI) generierte Zusammenfassungen und Inhalte. Das Grundrauschen und die Konkurrenz in Sachen Aufmerksamkeit werden kontinuierlich größer und die Anforderungen an wirksame Online-Kommunikation wachsen massiv.
Das führt dazu, dass immer mehr Spezialisierung nötig ist oder immer mehr Personen in Redaktionsteams aktiv sein müssen, um gute Ergebnisse zu erzielen.
Da sich der soziale Bereich, bei der aktuellen Ausstattung und Prioritätensetzung, hier kaum weiterentwickeln kann, geraten wir in der Wohlfahrt und im sozialen Bereich immer weiter ins Hintertreffen.
Ein Werkzeug und eine Strategie, die sich in den letzten Jahren bei mir bewährt hat und zumindest dabei hilft, das Ganze ein wenig auszugleichen und organische Reichweite zu schaffen, ist das informelle Redaktionsteam.
Was ist ein Informelles Redaktionsteam?
Ein informelles Redaktionsteam ist im Grunde eine Gruppe von Menschen, die der Arbeit und den Themen einer Organisationen gegenüber wohlgesonnen sind. Sie verfügen online idealerweise über eine gute eigene Reichweite und/oder sind gut vernetzt. Wichtig: Sie sind bereit, ihre Reichweite und ihr Netzwerk bei für sie interessanten Themen zu nutzen und Inhalte der Organisation zu teilen.
Ganz konkret kann das in der Praxis aus einer Messenger-Gruppe, einer Facebook-Gruppe, einer E-Mail-Liste oder ähnlichen Kommunikationswegen bestehen. Hier sind Menschen versammelt sind, die sich bereit erklärt haben, die Organisation kommunikativ zu unterstützen.
Voraussetzungen und Anforderungen des informellen Redaktionsteams
Die Voraussetzungen und Anforderungen an diese Liste und die Menschen darin haben mindestens drei Aspekte:
- Freiwilligkeit: Alle in dieser Liste oder im Verteiler befindlichen Menschen haben sich freiwillig und nach persönlicher Ansprache und Abstimmung bereit erklärt, diese Aufgabe und Unterstützung durchzuführen.
- Ehrenamt: Für alle ist es eine ehrenamtliche Aufgabe. Niemand wird dafür bezahlt, niemand hat dafür extra Arbeitszeit. Alle, die hier versammelt sind, haben sich bereit erklärt, dass nebenher zu tun oder sind gar nicht Teil der Organisation. Es können Kollegen und Kolleginnen sein, aber genauso gut externe Partner und Partnerinnen.
- Vertrauen und Flexibilität: Es gibt nur sehr wenige Guidelines und keine festen Regeln für das Team. Die einzigen Guidelines, die ich vorgebe, folgen weiter unten. Wichtig ist mir hier der Ansatz des Vertrauens. Das informelle Redaktionsteam ist eine freiwillige Gruppe. Ja, sie haben sich grundsätzlich eine gewisse Verbindlichkeit gegeben, aber es gibt keine exakten Erwartungen oder Anforderungen. Ich mache keine Vorgaben, ich habe keine Mindestfrequenz, die berücksichtigt werden muss.
Arbeitsweise des Informellen Redaktionsteams
Wenn diese drei Anforderungen erfüllt sind, sieht die Arbeit mit dem informellen Redaktionsteam so aus:
- Inhalte veröffentlichen: Kommunikator*innen und Kommunikatoren veröffentlichen ihre Inhalte oder planen diese idealerweise im Rahmen der strategischen Themen- und Redaktionsplanung.
- Vorzeitige Information: Ich informiere das informelles Redaktionsteam über kommende Inhalte, Themen und relevante Pläne. Dann kann ich ihnen exklusiv vorab Zugang zu Inhalten geben, die noch nicht öffentlich verfügbar sind. Durch die Exklusivität erhöhe ich die Bindung und Bedeutung des informellen Redaktionsteams. Sie drückt auch eine gewisse Wertschätzung aus.
- Teilen von Beiträgen: Ich informiere das informelle Redaktionsteam über neue Themen und Beiträge, sobald ich diese auf meinen Kanälen veröffentlicht oder sie eingeplant habe. Wenn ich die Ressourcen und Zeit habe, kann ich neben den öffentlichen Beiträgen das informelle Redaktionsteam auch mit Inhalten versorgen, die sie für Share-Content nutzen können. Das sind beispielsweise Bild- oder Textvorlagen oder fertige Videos, die ich nicht auf den offiziellen Organisationskanälen bringe.
Das Teilen meiner offiziellen Beiträge mit dem informellen Redaktionsteam ist jedoch eine Standardkomponente, die ich immer empfehle. Dieses Teilen ist verbunden mit der Einladung – und ich betone Einladung, nicht Aufforderung – diese Beiträge an relevante Personen, Communities oder Organisationen weiterzugeben.
Guidelines für das informelle Redaktionsteam
Es gibt einige wenige Guidelines, die ich immer etabliere, aber das sind wirklich die einzigen:
- Öffentliche Aussage: Der öffentliche Beitrag des Organisationskanals kann und soll geteilt werden. Es muss jedoch klar gekennzeichnet sein, dass die Person, die teilt, aus eigenem Antrieb agiert und nicht für uns spricht. Das ist bei Mitarbeitenden der Organisation besonders wichtig.
- Kritik: Wenn Kritik aufkommt, bitte ich darum, dass wir als offizielles Kommunikationsteam informiert werden und reagieren können. Das informelle Redaktionsteam soll bitte nicht selbst aktiv werden und, auch wenn es in bester Absicht geschieht, die Organisation bitte nicht eigenständig verteidigen.
Durch diese Struktur und Arbeitsweise kann das informelle Redaktionsteam helfen, organische Reichweite zu schaffen und wichtige soziale Themen besser zu verbreiten.
Gegenargumente und deren Entkräftung
Das Konzept des informellen Redaktionsteams ist zwar einleuchtend und simpel, dennoch stoße ich immer wieder auf Ablehnung, Kritik und Gegenargumente. Im Folgenden habe ich die Evergreen-Punkte gesammelt, die ich immer und immer wieder gehört und angetroffen habe.
Auf jedes Argument liefere ich die Quintessenz der Antworten, die sich in den letzten Jahren bewährt und oft, nicht immer, zum Erfolg geführt haben. Mit Erfolg meine ich die mindestens die Freigabe eines Testlaufs für ein informelles Redaktionsteam. In den meisten Fällen wurde es danach verstetigt.
Kontrollverlust
- Argument: “Aber diese Kommunikation können wir ja gar nicht kontrollieren. Das ist doch super riskant.”
- Antwort: Auf den ersten Blick stimmt das. Ich kann und will nicht kontrollieren, wie und was das informelle Redaktionsteam kommuniziert. Der Ansatz basiert auf Vertrauen und darauf, dass die Leute, die ich einbeziehe, wissen, was sie tun. Im Jahr 2024 ist es naiv zu glauben, wir könnten kontrollieren, wie über uns gesprochen wird und wie wir wahrgenommen werden. Mit strategischer Kommunikation und den richtigen Maßnahmen können wir die Wahrnehmung zumindest mitgestalten.
Zeit- und Ressourcenaufwand
- Argument: “Das braucht ja auch viel Zeit und Ressourcen. Ist das nicht besser investiert in Inhalte für unsere eigenen Kanäle?”
- Antwort: Ja, wir müssen Inhalte für unsere eigenen Kanäle erstellen. Diese Inhalte sind auch der Ausgangspunkt für das informelle Redaktionsteam. Wenn ich diese Beiträge nicht werblich unterstützen kann oder möchte, brauche ich einen Weg, um organische Reichweite zu pushen. Diese wächst nicht durch mehr Beiträge, sondern durch strategische Verteilung und Unterstützung der bestehenden Inhalte. Genau das tut das informelle Redaktionsteam.
Influencer-Arbeit
- Argument: “Wäre die Zeit nicht besser in Influencer-Arbeit investiert?”
- Antwort: Die Mitglieder des informellen Redaktionsteams sind bereits Multiplikator*innen, also handverlesene Influencer*innen die inhaltlich und fachlich relevant sind. Das ist wertvoller als klassische Influencer-Arbeit. Klassische Influencer*innen können für Gesamtreichweite und Kampagnen sinnvoll sein, aber das informelle Redaktionsteam bringt gezielt potenziell relevante Communities ins Spiel. Das ist Netzwerk- und Beziehungsarbeit, die mehr nachhaltige Wirkung entfaltet als klassische Influencer-Arbeit.
Unterstützung und Schulung sind unverzichtbar
Organisationen, die ein informelles Redaktionsteam etablieren und strategisch einbinden wollen, müssen sich darüber im Klaren sein, dass das mit Arbeit verbunden ist. Wie jedes wirksame Konzept sind auch hier Ressourcen nötig.
Zwei Aspekte haben sich in meiner Arbeit als entscheidend herausgestellt:
- Bereitschaft zur Schulung: Es ist wichtig, die Mitglieder des informellen Redaktionsteams zu schulen oder mit kommunikativen Werkzeugen zu versehen. Diese Schulungen müssen gut strukturiert, bedarfsorientiert und professionell durchgeführt werden. Die konkreten Themen sollten mit den Teammitglieder selbst vereinbart werden.
- Unterstützung: Die Organisation muss zeigen, dass sie nicht nur die Reichweite nutzen möchte, sondern auch bereit ist, das Team zu unterstützen. Nur so fühlen sich die Teammitglieder ernst genommen und wertgeschätzt. Viele potenziell interessante Menschen lehnen ab, weil sie befürchten, das Ganze nicht professionell genug angehen zu können. Diese Bedenken können durch Unterstützungsangebote reduziert werden.
Aufbau eines informellen Redaktionsteams
Natürlich variieren die für den Aufbau eines informellen Redaktionsteams nötigen Maßnahmen von Organisation zu Organisation. Die folgenden fünf Schritte waren und sind jedoch Teil all meiner Projekte. Umfang und Arbeitsaufwand pro Schritt hänge von euren Rahmenbedingungen ab.
Fünf Schritte zum informellen Redaktionsteam
- Konzept und Pitch erstellen
- Entwickelt ein Konzept, wie das informelle Redaktionsteam in eure Kommunikationsstrategie passt.
- Erstellt einen Mini-Pitch und geht damit zu eurer Führungskraft. Ihr braucht den Rückhalt der Führungsebene.
- Liste potenzieller Kandidaten erstellen
- Zu Beginn empfehle ich ein Team von 5 bis 10 Leuten. Das Team kann später wachsen.
- Kontaktaufnahme
- Sprecht die Leute, wenn möglich, persönlich an. Erklärt ihnen, was ihr euch vorstellt, warum ihr sie ausgewählt habt und wie ihr sie unterstützen werdet.
- Kommunikationsmedium etablieren
- Nutzt ein passendes Kommunikationsmedium, z.B. den Signal Messenger, um die Liste und die Kommunikationsumgebung für das Team zu etablieren.
- Beiträge teilen und Feedback einholen
- Teilt eure neuen Beiträge mit dem Team und ladet sie ein, diese weiterzugeben. Fragt nach Feedback und Unterstützung.
Evaluation und Weiterentwicklung
Meine Empfehlung ist bei allen neuen Strategien und Kanälen, bis auf wenige Ausnahmen, gleich: Geht es erst mal als Test und zeitlich befristeten Piloten an. Diese wertet ihr nach der Laufzeit des Tests aus.
Dann könnt ihr mit den gewonnenen Erfahrungen und Daten prüfen, ob sich eine Verstetigung lohnt oder nicht. Ist sie aus eurer fachlichen Sicht sinnvoll, könnt ihr die Daten- und Erfahrungsbasis direkt für eure Argumentation nutzen, wenn es um nötige Mittel geht.
Hier meine Empfehlungen für die zeitliche Struktur dieses Vorgangs.
- Nach drei bis sechs Monaten: Zieht eine erste Bilanz und schaut, wie sich die organische Reichweite und Aktivität auf euren Kanälen verändert haben. Für die bestmögliche Auswertung habt ihr VOR Beginn des Tests klare KPI (Key Performance Indikatoren) definiert.
- Gespräch mit der Leitung: Nutzt die Zahlen, um eure fachliche Einschätzung zu untermauern. Erstellt, wenn nötig, einen zweiten Mini-Pitch und sucht damit das Gespräch mit der Leitung zum Thema Verstetigung.
- Feedback vom Team: Bedankt euch beim informellen Redaktionsteam für das Engagement und fragt nach Wünschen und Verbesserungsvorschlägen. Kommunizierten die Perspektive und geplante Entwicklung des Teams transparent.
Ist das informelle Redaktionsteam für euch passend?
Diese letzte Frage kann ich euch nicht pauschal beantworten. Die Antwort könnt nur ihr selbst finden – durch einen ersten Test des Konzepts in eurer Praxis.
Es gibt jedoch mindestens drei Fragen, mit denen ihr vor einem Test prüfen könnt, ob das Konzept überhaupt für euch in Frage kommt:
- Habt ihr Menschen, die eure Arbeit und Kommunikation schätzen und offline unterstützen?
- Sind einige dieser Menschen online aktiv und/oder habt ihr online bereits eine, kleine oder große, Fan-Basis aufgebaut, die immer interagiert?
- Haben euch immer mal wieder Kolleginnen, Kollegen oder andere Interessierte gefragt, wie sie unterstützen können?
Wenn ihr zwei dieser drei Fragen mit ja beantworten könnt, stehen die Chancen für ein informelles Redaktionsteam sehr gut. Ist nur eine ein klares ja und andere unklar ist es zumindest einen Versuch wert. Verneint ihr alle drei … nun ja, dann habt ihr vermutlich andere Baustellen als den Test eines informellen Redaktionsteams.
Wenn euch aber der Einsatz und die Umsetzung interessieren, probiert es gerne aus. Bei Fragen zur Umsetzung oder bevor ihr es ausprobieren wollt, schreibt mir eine E-Mail oder kontaktiert mich über Signal oder Social Media.
Ich freue mich auf euer Feedback und wünsche euch viel Erfolg beim Aufbau eures informellen Redaktionsteams.
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