Digitalisierung der Wohlfahrt: Sozialgespräch Podcast mit Roland Knillmann

Artikelbild mit Roland Knillmann zum Artikel über den Podcast zur Digitalisierung der Wohlfahrt

Was hat Digitalisierung mit der Wohlfahrt zu tun? Wie geht ein Caritasverband mit den Herausforderungen um? Welche Rolle spielen PartnerInnen aus der Industrie? Und was können anderen Wohlfahrtsträger und Sozialarbeits-Verbände von den Erfahrungen lernen? Antworten auf diese Fragen liefert Roland Knillmann im Sozialgespräch Podcast.

Digitalisierung – ein nebulöser Begriff, der inflationär verwendet und viel zu oft als unabwendbare und negative Entwicklung gesehen wird. Dabei zeigt ein genauer Blick auf das Thema: Eigentlich geht es um den digitalen Wandel – und der lässt sich gestalten. 

Der geschätzte Kollege Benedikt Geyer verwendet da gerne einen Satz, den ich in Variationen ebenfalls nutze:

„Entweder die Profession (gemeint ist die Soziale Arbeit und ich fasse heute den Bereich der Wohlfahrt ebenfalls darunter) gestaltet die Veränderung oder die Veränderung gestaltet die Profession.“

Über theoretische Konzepte und Ansätze zur Digitalisierung in Sozialer Arbeit und Wohlfahrt wurde bereits viel geschrieben. Wer sich auf Organisationsebene damit befassen will ist bei Kollege Hendrik Epe richtig. 

Und wer sich für die konkrete und angewandte digitale Soziale Arbeit – auf Twitter und Co. mit dem Hashtag #digitaleSoA zu finden – interessiert, sollte beim bereits erwähnten Benedikt Geyer und bei Kollege Marc Hasselbach vorbei schauen. 

Informationen rund um Ehrenamt und Digitalisierung von Verbänden hat Kollege Hannes Jähnert bei sich und bei DRK Wohlfahrt. Er berichtet aus seiner Arbeit beim DRK.

Sozialgespräch mit Praktiker Roland Knillmann vom Caritasverband Osnabrück

Um mehr aus der Praxis und der Digitalisierung im Alltag der Wohlfahrt zu erfahren, bin ich nach Osnabrück gereist und habe mich mit Roland Knillmann unterhalten. Roland ist beim Caritasverband Osnabrück für Kommunikation und digitalen Wandel zuständig. 

Im Sozialgespräch Podcast unterhalten wir uns über verschiedenste Aspekte der Digitalisierung. Es geht nicht nur um Erfolgsgeschichten, sondern auch um 

  • Fehler und Hürden
  • Lernerfahrungen
  • Lesetipps
  • Hinweise für den Einstieg ins Thema Digitalisierung
  • Kooperation mit Industrie- und Wirtschaftspartnern
  • und viel mehr.

Das Gespräch ist fast eine Stunden lang – meine Empfehlung: mit Zeit, Ruhe und Kaffee oder Tee hören – und beinhaltet wirklich viele Informationen. Es ist eines jener Gespräche, die man mehrfach hören und bei denen man sich Notizen machen kann und vermutlich auch sollte. 

Im Folgenden findest du das leicht für die bessere Lesbarkeit angepasste Transkript mit allen im Podcast erwähnten Links. Für die bessere Übersicht habe ich hier ein thematisches Inhaltsverzeichnis erstellt:

Gesprächspartner: Roland Knillmann (RK) und Christian Müller (CM)

Einleitung und Vorstellung

CM: Hallo und herzlich willkommen zu einem neuen Sozialgespräch Podcast. Ich sitze nicht bei mir zu Hause, sondern bin unterwegs. Ich bin nach Osnabrück gefahren und habe dort meinen Gesprächspartner getroffen. Man kennt ihn vielleicht, wenn man sich mit Digitalisierung und Sozialer Arbeit beschäftigt. Wenn nicht, dann ändern wir das heute. Hallo Roland.

RK: Hallo Christian, herzlich willkommen in Osnabrück und ich bin sehr gespannt, auf welche Pfade sich unser Gespräch begeben wird.

CM: Roland, für alle die dich nicht so gut kennen, stell dich doch bitte unseren Zuhörerinnen und Zuhörern einmal vor und vor allem erzähle ihnen, was deine Aufgabe ist und wo du arbeitest.

RK: Ich arbeite mittlerweile seit 18 Jahren für den Caritasverband Osnabrück. Für alle die kirchlich nicht sozialisiert sind, wir sind die Caritas im Bistum Osnabrück und die soziale Organisation der katholischen Kirche. 

Mein Job ist es, diese Arbeit ins Öffentliche zu bringen, mit allem was dazugehört. Das ist die klassische Pressearbeit, der Internetauftritt, die Begleitung von Einrichtungen wenn es um die Entwicklung von Employer Branding geht oder ganz simpel auch erst einmal nur Flyer für den Tag der offenen Tür zu drucken.

Ich mach das alles nicht alleine, wir haben ein kleines Team, wo alle Aufgaben verteilt sind. Noch zum Umfang der Organisation: Das Bistum Osnabrück geht von der Nordsee bis zur nordrhein-westfälischen Grenze und wir haben in diesem Bereich über 700 katholische Einrichtungen und Dienste. Von stationärer Altenpflege bis hin zu Beratungsstellen für Zugewanderte. Der Caritasverband ist nicht als Konzern aufgestellt, sondern die meisten Einrichtungen sind rechtlich selbstständig und wir sind der Spitzenverband. 

Wenn man das so hört, dann wird sicher deutlich, wie vielfältig dieser Bereich ist und zum Glück müssen mein Team und ich auch nicht für alle Einrichtungen einzeln die Öffentlichkeitsarbeit machen. Sondern es gibt auch viele Kolleginnen und Kollegen, die das für die einzelnen Träger machen. Spannend an der Vielfalt finde ich die Tatsache, dass wir mit einer Fülle von unterschiedlichen Menschen arbeiten können. 

Die Hilfesuchenden, aber auch die Kolleginnen und Kollegen, und das sind ganz oft faszinierende Menschen, die nicht nur ihren Job machen, sondern das auch mit Herzblut machen.

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Was bedeutet Digitalisierung?

CM: Du machst die Öffentlichkeitsarbeit, aber eigentlich habe ich dich ja tatsächlich in einem völlig anderen Kontext kennengelernt. Wir waren beide auf einem Event, wo es um Digitalisierung der Sozialen Arbeit ging. Ich weiß, dass ich von einigen Sozialarbeitenden Zuschriften bekomme die sagen: Das Wort Digitalisierung ist ein Wort aus der Technik und hat bei uns nichts zu suchen. Aber um das Thema Digitalisierung kommt auch der Soziale Bereich nicht rum und du beschäftigst dich stark mit diesen Themen und den Entwicklungen. 

Lass uns einfach ganz vorne beginnen, da ich immer gerne eine Basis setze. Wie würdest du Digitalisierung verstehen und in Abgrenzung dazu, die digitale Transformation? Die beiden Begriffe werden gerne in einen Topf geworfen, sind aber überhaupt nicht das gleiche. Wie definierst du die beiden Begriffe?

RK: Ich rede bei dem Thema immer sehr gerne vom digitalen Wandel oder der digitalen Transformation, weil das einfach umfassender ist. Wir stehen vor einer Situation, die zeitgeschichtlich genauso gravierend und verändernd ist wie die Erfindung des Buchdrucks. Vielleicht ist es sogar noch gravierender, gerade wenn wir später noch über die Propheten reden, die meinen, dass die menschliche Gattung überholt ist, dann stehen wir vielleicht sogar am Ende dieser evolutionären Stufe. 

Dazu gehöre ich nicht, aber das zum Thema digitaler Wandel. Wenn man von Digitalisierung spricht, glauben die meisten Menschen, dass es darum geht, weg von der Zeitung zu Facebook zu gehen oder aber Dinge, die man vorher auf Papier gemacht hat irgendwie einzuscannen und dann via E-Mail zu machen. Das ist definitiv zu kurz gegriffen, es geht um viel mehr als darum, ob ich mit E-Mail, WhatsApp oder Facebook kommuniziere. 

Mir geht es bei der Sache um den allumfassenden gesellschaftlichen, politischen und sozialen Prozess in dem wir stehen und der in wenigen Jahren unsere Welt grundsätzlich anders aussehen lassen wird.

Die Auswirkung der Digitalisierung auf Soziale Arbeit und Wohlfahrt

CM: Das ist übrigens auch der Grund, warum ich dich als spannenden Gesprächspartner sehe. Ich gestehe, ich erliege auch gerne einmal dieser Falle, dass es um Apps geht, von den Tools her und der Technik denke, und das ist insofern wichtig, wenn ich einen Artikel darüber schreibe, wie ich so etwas konkret einsetze. 

Aber das Thema ist ja sehr viel größer. Soziale Arbeit ist im Gegensatz zur Psychologie, Medizin und Co. eben eine Profession die sich mit dem Menschen in seinem Gesamtkontext, im System und im gesamten sozialen Geflecht befasst.

Und da wirkt sich der Prozess ja ganz massiv aus, denn es verändert Kommunikationsverhalten, Informationsverhalten und auch bis zu einem gewissen Grad gesellschaftlicher Zusammenhalt und damit die zwischenmenschlichen Netzwerke. Was sind für dich die Veränderungen, die für dich am gravierendsten sind und für dich die meisten Auswirkungen haben? 

Welche Veränderungen nimmst du in der Sozialen Arbeit, in der sozialen Struktur und in der Zusammenarbeit wahr? Was hat sich da verändert in den letzten Jahren? Von deinem Eindruck her, ganz subjektiv.

RK: Vorweg muss man sagen, diese Änderungen kommen schleichend. Es ist nicht so, dass es gestern so war und heute anders. Die Hörerinnen und Hörer werden es kennen, wenn sie versuchen an die Zeit zurückdenken als es noch keine Smartphones gab. Die, die etwas älter sind, werden sich an die Zeit erinnern können, da dies gerade einmal 10 Jahre her ist, dass das iPhone erfunden worden ist. 

Das dominiert mittlerweile den Alltag so sehr, dass es für mich unvorstellbar ist, wenn ich einmal ohne mein Handy nicht nur arbeiten, sondern auch meinen Alltag gestalten sollte. Da würde mir etwas fehlen und wenn ich es mal vergessen habe, dann habe ich ein Phantombrummen in der Hosentasche, das da gar nicht ist.

CM: Hier als kleiner Einwurf: Schaut euch mal Tatorte an, die in den 90iger Jahren produziert worden sind. Die funktionieren heute nicht mehr, weil sie oft darauf basieren, dass man dem Komplizen nicht mehr rechtzeitig Bescheid geben kann und der Zuschauer sitzt vor dem Fernseher und sagt sich, ruf ihn doch einfach an. 

Bis einem dann einfällt: Telefonzelle und nicht Handy. Daran merkt man schon, wenn man medial und in der Popkultur zurückschaut, da hat sich unglaublich viel verändert.

RK: Und in der Sozialen Arbeit verändert sich ein nicht unerheblicher Teil der Arbeit der Kolleginnen und Kollegen, die im Jugendbereich tätig sind, die mit Flüchtlingen und Migranten arbeiten, die Gruppen organisieren, die arbeiten mit WhatsApp. 

Wenn sie diese App nicht hätten, dann hätten sie keinen Kontakt oder unter erheblich schwereren Bedingungen Kontakt zu ihren Klientinnen und Klienten. Ganz simple Veränderung, das hat aber mächtig viele Implikationen. 

Es heißt, ich organisiere mich und meine Arbeit ganz anders. Ich setze die Leute auch ganz anders in Kontakt und das ganze passiert rund um die Uhr. Das Ganze passiert mit einer hohen Transparenz  und das Ganze hat auch – auch wenn es ein Verdacht von mir ist – Auswirkungen darauf, wie verlässlich oder nicht verlässlich wir sind. 

Ich habe lange als Sozialarbeiter gearbeitet bevor ich in die Öffentlichkeitsarbeit gegangen bin und ich kenne das auch, dass Klienten einen Termin haben platzen lassen. 

Wenn ich heute mit Kolleginnen und Kollegen spreche, dann ist das besser geworden. Zum einen wird es verbindlicher, wenn es in Chats steht, aber auch nebulöser und vager. Ich bin weit davon entfernt zu sagen, dass wir digital dement oder digital einsam werden, aber wie wir miteinander umgehen und kommunizieren verändert sich durch das Digitale. 

Das ist aber nur ein Aspekt. Ein anderer Aspekt, mit dem wir alle noch sehr viel zu tun haben werden, ist der Punkt Arbeit 4.0 und alles was das bedeutet. Auch auf die Auswirkungen auf unser Sozialwesen.

CM: Das Thema ist sehr breit und wichtig. Ich werde oft dafür kritisiert, dass, wenn die Frage zu Cybermobbing kommt, ich sage, dass das natürlich zugenommen hat, dass aber auch naturgemäß und die meisten reagieren auf die Antwort kritisch. 

Das heißt nicht, dass ich das Internet verteufle, jeder der mich kennt weiß, dass ich darin lebe und auch arbeite. Aber es ist völlig nachvollziehbar das Verhalten, das ohnehin schon da ist – und Mobbing und Co. sind nicht neu – dass das im Internet auch zunimmt, da die Gesamtaktivität im Allgemeinen zunimmt. 

Wir kennen in der Sozialen Arbeit das Lebensfeld und Lebenswelt Model und wenn diese Medien in der Lebenswelt einfach da und nicht mehr wegzudenken sind, dann werden alle Verhaltensweisen amplifiziert und sichtbarer und gerade die Geschwindigkeit dahinter nimmt auch zu.

RK: Das ist meiner Meinung nach auch ein qualitatives Merkmal. Die Geschwindigkeit und die exponentielle Reichweite. Wenn ich früher in der Schule einen Mitschüler gemobbt habe, was schon schlimm genug war, denn sowas hat immer Folgen für das Opfer. Da hat es sich jedoch nur auf den engeren sozialen Kreis bezogen. Die Schule, der Freundeskreis etc.

Heute kann ich ein ekliges Foto oder einen schlechten Kommentar mit nur einem Klick mal eben an 300 bis 400 Leute bringen. Und das ist nicht nur ein qualitativer Unterschied, sondern was gepostet wurde, steht dann auch da. 

Das heißt, man kann auch über Jahre noch erhebliche Last dran haben. Früher hat sich das seelisch eingebrannt und heute steht es digital und manifestiert zur Verfügung. Das sind eben qualitative Merkmale die den Druck auf Betroffene erheblich erhöhen können.

CM: Definitiv, aber auf der anderen Seite des Spektrums bietet es in der Sozialen Arbeit ganz andere Möglichkeiten der Reichweite für Beratungsangebote oder Informationsangebote. Auch eine Möglichkeit Leute niedrigschwellig zu erreichen, Zugang zu ermöglichen, die die Leute, wenn sie persönlich in eine Beratungsstelle müssten, nicht wahrnehmen würden. Das heißt, es ist auf beiden Seiten eine massive Veränderung und die Möglichkeit Werkzeuge zu benutzen.

RK: Ich bin durchaus ein Freund der Technik, die Entwicklung in der wir stehen, können wir sowieso nicht zurückdrehen. Wir können es aber gestalten und dafür müssen wir einfach sehr genau wissen, was technisch überhaupt möglich ist. Wir müssen die Implikationen im Blick behalten und wir müssen die kritischen Seiten sehen. 

Es wäre allerdings ein Fehler, wenn wir in der Entwicklung nur euphorisch wären oder nur kritisch denken würden. Damit verschenke ich mir alle Gestaltungschancen. Wir können nur als Caritas für diese Aufgabe gerecht werden in den nächsten Jahren, wenn wir bereit sind diese Entwicklung mit zu gestalten. 

Dafür braucht es eine Menge Voraussetzungen, Fachwissen, Ressourcen und vor allem die richtige innere Haltung. Und gerade das ist wirklich schwer. Ich hab es schon angesprochen, ich bin 54 und kein Digital Native, sondern habe mir das Wissen über die letzten Jahre angelesen und auch ich verstehe nicht alles davon. 

Viele Kollegen sagen mir dann, wenn du das schon nicht verstehst, wie sollen wir das verstehen. Da ist also noch eine große Hürde zu nehmen und die Problematik dahinter verstehe ich definitiv.

Aktuelles Thema ist da natürlich die Datengrundschutzverordnung. Die Menschen sind verwirrt, genervt und verunsichert. Das im sozialen Bereich mit den Kollegen zu besprechen, die ihren Beruf ergriffen haben, weil sie von Mensch zu Mensch arbeiten wollen und denen zu sagen, dass einige Dinge davon jetzt in den Digitalen Wandel hineingebracht werden müssen, ist schwierig. 

Es heißt nicht, dass wir ab morgen Roboter hier stehen haben, es heißt auch nicht, dass wir nur noch mit Automaten telefonieren und wir Sekretariate gegen Diktiermaschinen austauschen, sondern dass wir mit den veränderten Lebensgewohnheiten der Klienten Kontakt aufnehmen.

in simples Beispiel: Wie kann ich von einem Klienten erwarten, der sich abends mit seinem Smartphone eine Pizza über Lieferando bestellt, danach bei Zalando noch nach Kleidung schaut oder bei Amazon etwas bestellt, dass diese Person für eine Schuldnerberatung oder eine Erziehungsberatung bis Montagmorgen um halb neun wartet, bis die Kollegen im Büro sind und dann erst telefonisch Termine zu vergeben? Das geht nicht, dafür muss ich automatische Buchungstools zur Verfügung stellen und das ist nicht unmöglich, das kann jedes Hotel und jedes Ferienhaus.

Das haben wir leider in vielen Bereichen in der sozialen Beratung noch nicht, aber das ist auch nicht so einfach. Ich muss meine Organisation umstrukturieren, muss ein Tool dafür entwickeln und die betroffenen Kolleginnen und Kollegen geben ein Stück weit die Kontrolle über ihren Kalender auf. 

Es ist noch einmal was anders, wenn ich mit dem Klienten vorher telefoniert habe, ein zwei Sätze mit ihm gesprochen habe oder aber Morgens mitgeteilt bekomme, dass Herr Schmidt um XY zum Termin erscheint. Und dafür brauch ich einfach auch Akzeptanz, wenn ich so etwas umsetzen möchte.

Wie entscheidet die Caritas Osnabrück, welche Entwicklungen und Aspekte relevant sind?

CM: Es ändert ja auch das fachliche Rangehen, in einem ersten Telefonat bekomme ich einen Eindruck von der Person, einen ersten Blick auf den Fall und kann die Situation ganz anders abschätzen, als wenn ich nur ein Termin habe, wo im Zweifel nicht einmal das Freitextfeld ausgefüllt ist. Und da kommen wir auch direkt zum nächsten Thema. 

Oft höre ich den Satz ich bin Sozialarbeiterin/ Sozialarbeiter, das betrifft mich alles nicht, ich hab den Job auch nicht gelernt und das brauch ich auch nicht. Bis zu einem gewissen Punkt haben diese Kolleginnen und Kollegen ja auch Recht. 

Es braucht Leute wie dich, Leute aus der Forschung, die sich mit dem konzeptionellen und strategischen Teil und der Entwicklung beschäftigen, aber gleichzeitig muss es gelingen, dass auf den konkreten Nutzen und die Auswirkung in der täglichen Arbeit auch mit Klienten, runter zu brechen.

Was ich oft beobachte sind zwei Extreme. Entweder wir reden vom großen strategischen Gesamtbild, wo wir in die Zukunft blicken und alle Entwicklungen sehen oder in ganz kleinteiligen Schritten, die sich teilweise z.B. nur auf Whats App oder App-Ebene, aber bewegen uns ganz selten dazwischen, wo sich die Realität befindet. 

Das müssen wir natürlich Wahrnehmen und Verstehen, müssen es dann aber auch Übersetzen und schauen wie es sich auswirkt. Du hast ganz am Anfang von Arbeit 4.0 gesprochen, wie geht ihr und du damit um? Wie leistet ihr diese Übersetzung bzw. diese Filterleistung? Wie geht ihr diese Funktion an, wie arbeitet ihr um das zu Erfassen und dann wirklich entscheiden, dass ihr darüber wirklich sprechen müsst?

RK: Ich arbeite mit der Caritas Osnabrück in einer Organisation, wo auch der Vorstand diese Fragen schon vor einiger Zeit erkannt hat. Wir beginnen gerade damit diese Fragen zu konkretisieren. Und wir machen das in kleinen Schritten. Es gibt Kollegen, so wie auch ich manchmal, die dahingehend furchtbar ungeduldig sind und wieder andere, die erst einmal für diese Fragen sensibilisiert werden müssen. Daher kann ich deine Frage so auch noch nicht beantworten, da wir als Gesamtorganisation noch gar nicht so weit sind, die Frage nach der Übersetzung zu beantworten. 

Wir haben viele kleine Projekte besonders im Bereich der Altenpflege, da wir da schon relativ weit fortgeschritten sind. In den anderen Bereichen haben wir gerade erst begonnen das ganze anzusetzen. Wenn man das auf eine große und komplexe Organisation überträgt, dann wird das ein zirkulärer Prozess.

Wir haben viele Impulse aus den einzelnen Einrichtungen, wir haben Pflegedienste und stationäre Dienste, die viele Dinge ausprobieren und das koppelt sich dann in die Organisation zurück. Und da sind wir im Moment auch am experimentieren.

Praxisbeispiel: Die Anpacker App

Ich hab da noch ein ganz anderes Beispiel: Wir haben vor 2 Jahren in unserem Team die Anpacker-App entwickelt. Das ist eine App die freiwilliges bürgerliches Engagement unterstützen möchte. Wir haben damals gesagt wir möchten so eine App wie Mobile.de oder Autoscout.de fürs Ehrenamt schaffen. 

Das heißt, wenn Personen schon eine konkrete Idee haben, was sie machen können und wollen, aber nicht wissen, wer das braucht. Damit sind nicht nur einzelne Personen gemeint, sondern auch bei welcher Organisation man da mitmachen kann. Diese Personen sollen in wenigen Schritten auf ihrem Smartphone oder ihrem Tablet schnell die Organisation finden, wo sie mit anpacken können. 

Und wenn es gerade keine Organisation gibt, dann kann man sein Profil speichern und dann bekommt man eine Pushnachricht, wenn eine Organisation jemanden braucht. Das gab es damals noch gar nicht bundesweit als wir die App auf den Markt gebracht haben. Und hier wird es spannend, mit den vielen Erfahrungen die wir gemacht haben. 

Von der Idee bis zur Veröffentlichung waren es zwei Jahre, tödlich in diesem Bereich. Wir haben Kooperationspartner gesucht, wir haben das Konzept entwickelt, da ist eine mächtige Datenbank hinter. Wir wollten alles perfekt haben, bevor wir die App veröffentlichen, dass ist jedoch nicht die Philosophie, die in diesem Bereich herrscht. 

Heißt ich würde es heute definitiv anders machen. Die App steht nicht nur Bürgerinnen und Bürger offen, sondern jedem also auch Organisationen etc., die selbst nach Ehrenamtlichen suchen. Wir haben es bewusst als nicht Caritas App veröffentlicht, weil wir die Schwelle niedrig halten wollten und nicht uns fördern wollten, sondern das bürgerliche Engagement. Viele Leute sagen, dass die App toll ist und wollen sie auch benutzen. 

Das ganze kostet natürlich Geld und wir haben versucht, dafür feste Kooperationspartner zu finden und das sind in aller Regel die Kommunen und die kann man nicht in einem Gespräch überzeugen, sondern man muss dort Akquise betreiben. Und das können wir einfach nicht leisten. Das heißt wir haben auf der einen Seite die Bürger und den Vorstand die sagen, dass die App gefördert werden soll, aber auf der anderen Seite das Problem, dass wir dafür schlicht nicht die Mittel und Zeit dafür haben. 

Wir haben zwar auch Unternehmen die gesagt haben: Wir kaufen euch das ab oder übernehmen den Vertrieb für euch. Aber auch das ist schwierig, da man die Idee der App und das Engagement-System nicht einfach einem Techniker in die Hand drücken und ihn losschicken kann, damit er es verkauft. Das heißt, dass ich das auch einfach mit der fachlichen Kompetenz verbinden muss und da bin ich im Moment etwas ratlos. 

Und das ist eine Erfahrung die für uns deswegen neu ist, weil wir in ein Feld gegangen sind, wo wir unsere Kernarbeit durch eine neue Brücke unterstützen und wir gleichzeitig dieses neue Ding nicht weiter streuen können, weil wir auf einmal auf einem ganz anderen Markt sind als im sozialen Bereich, in dem wir sonst arbeiten.  

Im Moment lerne ich. Meine App ist toll und kann nur in Niedersachsen eingesetzt werden und wenn Anfragen aus München oder so kommen, dann können wir die nicht bedienen.

Kooperation der Sozialen Arbeit mit PartnerInnen aus anderen Branchen und Bereichen

CM: Die Geschichte führt mich zu einer neuen Frage, die ich mir notiert habe. Ich bin der Ansicht, dass wir in der veränderten Sozialen Arbeit auch nach Kooperationspartnern suchen sollten, die außerhalb des sozialen Bereich stehen. Was ich immer spannend finde ist, dass die Soziale Arbeit sehr viel stärker als andere Bereiche interdisziplinär aufgestellt ist. Worin wir uns aber schwer tun ist interdisziplinär mit anderen Professionen zu arbeiten, die jenseits des sozialen Systems existieren.

RK: Da würde ich für uns allerdings widersprechen. Ich habe da ein Beispiel, wir haben da ein Pilotprojekt, das wir in der ambulanten Pflege vor zwei Jahren auf den Weg gebracht haben. Wird jemand pflegebedürftig, gibt es in jeglichen Bereichen einen Papierkrieg mit den Pflegekassen und sonstigen Versicherungen die involviert sind. 

Und das kommt über Wege auch mal doppelt und dreifach an, in verschiedenen Formularen, die aber allesamt dennoch ausgefüllt werden müssen. Da haben wir vor drei Jahren gesagt, dass das auch anders gehen muss.

Und da haben wir eher durch Zufall ein Unternehmen kennengelernt, Eucon heißt die Firma und die bringen das schwarze vom Papier auf den Server. Eucon hat eine Software entwickelt die unstrukturierte Daten, egal in welcher Form, einscannt und der Algorithmus kann sie identifizieren und verstehen. Die sortieren sie dann so, dass damit weitergearbeitet werden kann und können damit einen Großteil des Schriftverkehrs eines Pflegedienstes automatisieren und weiterverarbeiten. 

Wir haben das an einem Standort getestet und gegen unsere Befürchtung, dass Mitarbeiter glauben könnten, dass ihre Stelle wegrationalisiert werden könnte, wurde es mit Begeisterung aufgenommen, da besagte Mitarbeiter sich dann einfach um andere Dinge sehr viel sorgsamer kümmern konnten. 

Und Eucon hat ihren Fokus im Automotiv- und im Versicherungsbereich. Die digitalisieren vor allem Bestellunterlagen und Zubehör, haben also mit sozialer Arbeit gar nichts zu tun. Und das nenne ich hier als ein Beispiel an Kooperation, die wir Außerhalb der Sozialen Arbeit haben und auch brauchen.

CM: Das ist es definitiv, das Problem das ich nur immer habe ist, dass wir immer eher kleinteilig und projektlastig arbeiten. Wir tun uns schwer damit auf Verbandsebene, also auf wirklich groß strukturierter Ebene, einen Schritt zu gehen und zu sagen: Das sind die Herausforderungen und jetzt suchen wir uns wirklich flächendeckend Partner, mit denen wir das auch als Prozess durchziehen.

Prototypen und Experimente im sozialen Bereich

Wir haben jetzt hier viel über die Digitalisierung von Daten unterhalten. Eingangs haben wir die Chatbots erwähnt. Klassischerweise wenn ich das im Marketing einsetze, dann mach ich einen Prototyp, wir testen ihn an der Zielgruppe, testen es weiter im Support und wenn da etwas schief geht, dann entschuldigen wir uns und die Auswirkungen halten sich in Grenzen. Dennoch haben wir nach 4 bis 8 Wochen Daten und können damit arbeiten.

Problem in der Sozialen Arbeit ist, dass wir das dort nicht so einfach machen können. Da stecken ganz oft viel sensiblere Themen hinter. Wir können Menschen nicht einfach in einen Versuch werfen, die eigentlich Hilfe und Unterstützung brauchen. Wie ist da deine Erfahrung im Bereich der Klienten agiler zu werden? Da haben wir ja ganz andere Hürden und ganz andere Verantwortlichkeiten.

RK: Da ist natürlich ein ganz wichtiger Aspekt der Datenschutz. Das heißt, dass alle Daten die erhoben werden, z.B. in Chatbots als Datenfluss hin- und hergehen, absolut sicher sind. Die Kanäle müssen absolut save sein, damit damit überhaupt kein Missbrauch getrieben werden kann. 

Und da stehen wir vor sehr hohen Schwellen, denn die Server müssen nicht nur in Deutschland stehen, sondern auch am besten noch von uns kontrollierbar sein. Und das Zweite ist, dass wir es ausprobieren müssen. 

Wir haben Moment in der Caritas Niedersachen eine Seite, dort werden keine Beratungsangebote angeboten, sondern dort geht es um die politische Präsentation der Caritas in der Landeshauptstadt Hannover. Wenn man diese Seite aufruft, bekommt man im Moment einen Chatfenster an der Seite geöffnet, damit wir sehen wie die Besucher darauf reagieren. 

Der Kollege, der das umgesetzt hat, ist sehr experimentierfreudig und der hat sich gesagt: Ich mach das jetzt mal, denn unsere Seite ist auch nicht die übersichtlichste und wenn die Leute etwas suchen und finden es nicht, oder es gibt dazu gar keine Info, sie brauchen aber eine, dann wollen wir diese Leute auch nicht einfach verlieren. 

Dann klinkt sich der Chatbot da ein. Im Moment ist es so, dass wenn nicht innerhalb einer Minute geantwortet werden kann, dann kommt ein automatisierter Hinweis: Formulieren sie ihre Frage, sobald wir Zeit haben sie zu beantworten, melden wir uns.

Ich bin gespannt auf die ersten Erfahrungen, die er dort machen wird, wenn wir in den nächsten Wochen die erste Bilanz ziehen. Wenn die Erfahrung gut ist, dann überlegen wir, das auch auf anderen Seiten von uns zu etablieren, eben auch mit Beratungsangeboten. Da muss man allerdings sehr genau die Grenze ziehen.

Wir müssen schauen, ob die Leute, die auf unsere Seite kommen überhaupt mit einem Bot schreiben möchten. Ich selbst bin da skeptisch, wenn ich mich an die Caritas wende, dann möchte ich mit Menschen reden und das ist ein ganz hohes Gut. Aber wir werden dieses Angebot trotzdem geben, damit wir sehen, ob das eine Hilfe sein kann und sei es nur eine Einstiegshilfe.

Dann müssen wir schauen, bis wohin das ganze automatisiert und anonym laufen kann. Ich glaube nicht, dass es gut ist, wenn jemand in so einem Chatfenster direkt seine ganze Problemlage hineinschreibt, wenn er noch nicht weiß, wenn er auf der anderen Seite sitzen hat. 

Und da müssen intern sehr präzise Regeln aufgestellt werden. Und damit sind wir raus aus dem agilen, denn das muss ganz genau festgeschrieben sein, denn da kann man nicht einfach mal testen und es morgen anders machen, wenn es nicht klappt. Das muss extrem gut durchdacht werden.

CM: Das ist aber zu einem ein Punkt der uns in der sozialen Arbeit hemmt, allerdings ist es immer wieder wichtig, uns eine Sache klar zu machen, die soziale Arbeit hat andere Werte, Grundlagen und andere ethische Ansprüche als technisch im Kundensupport oder Marketing vielerorts umgesetzt wird. 

Das kann eine Bremse sein, ist aber auch eindeutig ein Alleinstellungsmerkmal. Wenn dann dort ein Angebot kommt, dann hat das ein starkes Fundament. Das wir darüber nachgedacht haben die Menschen zu schützen und ernst zu nehmen.

Ich bin ja im Online-Marketing auch ein bisschen zuhause und da ist Tracking völlig normal, auch mit DSGVO wird der Kunde bis zum letzten Fünkchen durchleuchtet, damit uns das für die Werbung weiterhelfen kann. Ich möchte die DSGVO jetzt nicht vertiefen, immerhin hängt sie uns allen vermutlich zum Hals raus und wir sind froh, wenn sie dann jetzt einfach in Kraft tritt.

RK: Wobei man das aus Unternehmersicht sagen muss, aus Verbrauchersicht hat der Bürger ein sehr mächtiges Instrument in die Hand gedrückt bekommen. Die DSGVO ist ein Hebel für den Bürger, der ihn wesentlich viel besser dastehen lässt.

CM: Wenn die Umsetzung so klappt wie sie gewollt ist, dann kann das stimmen. Das ist auch der Punkt auf den ich Hinaus wollte. Datenschutz ist bei uns ja etwas anders, als bei einem kommerziellen Anbieter, da geht es um Datensicherheit und Schutz vor Spionage. 

Das ist bei uns natürlich nicht unwichtig, aber es geht wirklich mehr um Respekt vor den Daten und die Hoheit über die eigenen Daten. 

Da kollidieren wir aber mit anderen Bereichen, der auch etwas mit fehlenden Kompetenzen zu tun hat. Eigentlich müssten wir den Klienten an die Hand nehmen, ihm im Bereich Medienkompetenz anleiten, doch genau hier fehlt oft das eigene Verständnis um genau das zu tun.

Welche Kompetenzen braucht die Soziale Arbeit im Digitalen?

Und das hat viel mit der eigenen Haltung zu tun. Meine Frage an dich, wie ist da so deine Erfahrung, wie würdest du daran herangehen, denn Fakt ist die fachliche Kompetenz darf nicht darunter leiden?

RK: Ich mach das mal an einem kleinen Beispiel fest. Wir haben eine Menge mit Facebook zu tun und das aus ganz unterschiedlichen Gründen. Wir haben eine eigene Facebook-Präsenz, die Caritas hat letztes Jahr vor der Bundestagswahl in den sozialen Medien eine Kampagne gestartet mit „Wir wählen Menschlichkeit.“  wo viele, auch Mitarbeiter der Caritas mitdiskutiert und kommentiert haben. 

Und ein dritter Punkt ist, dass die Caritas ihre Mitarbeiter darauf sensibilisiert hat mit dem Thema „Rechte Hetze“ bzw. Fremdenfeindlichkeit umzugehen und dort natürlich auch über das informiert, was im Netz darüber passiert. 

Viele Mitarbeiter haben uns dann gesagt, dass sie keine Ahnung von Facebook haben und da auch gar nicht sind und daraufhin haben wir ganz trivial angefangen unseren Mitarbeitern Schulungen für Facebook anzubieten. 

Und wir haben da vor allem gesagt, dass wir den älteren Mitarbeitern, die Facebook nur durch ihre Kinder oder Enkelkinder kennen, einfach mal für drei Stunden einen Testaccount einrichten und sich unter Anleitung auf Facebook rumtummeln. 

Das war extrem spannend, so dass wir gleich einen zweiten Kurs hinterher geschoben haben und auch in Zukunft das Ganze weiter ausbauen. Und auch wenn wir nicht alle Skepsis beseitigen konnten, haben doch die meisten Mitarbeiter uns das Feedback gegeben, dass sie etwas gelernt haben. 

Und so simpel das Beispiel ist, so zeigt es doch, dass man einfach ganz simpel weiterbilden und informieren sollte. Das passiert noch zu wenig und ich persönlich weiß auch noch zu wenig, was die Kolleginnen und Kollegen brauchen. 

Und da müssen wir einfach schauen, dass wir die unterschiedlichen Mitarbeiter auch unterschiedlich heranführen. Mitarbeiter aus der Pflege brauchen andere Unterstützung als z.B. Mitarbeiter aus der sozialen Beratung, da muss man sehen wie man die Mitarbeiter sauber geschult bekommt. 

Und dann muss man auch sehen, dass sich allgemein etwas verändert und das nicht nur auf der technischen Ebene, sondern auch in der Struktur, in der Begegnung mit Klienten, die Art und Weise wie sich Teams organisieren etc. und das muss ich mit im Blick behalten.

Man kann es wie ein Mobilee betrachten, ich stupse es an und es fängt an zu drehen, wichtig ist, dass man den Punkt findet es anzustupsen, ohne das es mir gleich von der Decke stürzt.

Welche Auswirkungen haben New Work und Arbeit 4.0 auf die Soziale Arbeit, Wohlfahrt und Gesellschaft?

CM: Was ich selbst immer wieder merke: Es geht wirklich oft nur um die Netzwerke und nicht darum, wie man es didaktisch einordnet und welche Auswirkung es auch fachlich auf uns hat. Wie verändern diese Herangehensweise die systematische Beratung? 

Und wie verändern sich die Systeme und die Dynamik hinter allem? Stichwort Anerkennung, Statussymbole, soziales Netzwerk und Peergroup.

Das führt mich zu meiner zweiten Frage: Wir haben ja schon kurz Arbeit 4.0 angesprochen, das auch soziale Auswirkungen hat. Arbeit 4.0 wird ja meist als das neue flexible und tolle Arbeiten bezeichnet, die Freiheit seine Arbeit zu gestalten, von zuhause aus zu arbeiten, digitalisiert zu arbeiten. 

Betrachte ich das für die soziale Arbeit, sehe ich da auch viele Nachteile für diesen Bereich. Welche Auswirkungen siehst du bei diesen ganzen neuen Arbeitsmöglichkeiten?

RK: Da gucke ich jetzt nicht sozialarbeiterisch drauf, sondern sozialpolitisch. Auch hier nochmal der Bogen, der digitale Wandel hat ja nicht nur mit der Kommunikation mit dem Klienten etwas zu tun, sondern hat auch gewaltige gesellschaftliche und politische Auswirkungen. Ich nenne da einmal zwei Punkte. 

Zum einen werden sich die Berufsfelder in den nächsten Jahren stark verändern, welche Berufsfelder verschwinden und neu dazu kommen, kann ja eine Breite haben, die je nach Buch oder Magazin von X bis Y gehen kann. Sicher sind sich aber alle, dass es eben diese gewaltige Veränderung geben wird. 

Die meisten Autoren sind sich auch alle einig darüber, dass in allen Berufen eine hohe technische Kompetenz vorausgesetzt wird, dass eine höhere Flexibilität der inneren Haltung erwartet wird. Und ich merke das jetzt schon an mir, ich muss mich halbjährlich mit neuen Plattformen etc. beschäftigen und entscheiden, ob die verwendet werden können oder nicht. 

Dann brauchen wir eine stärkere Mobilität, heißt Mitarbeiter müssen von ihren Standorten aus flexibler sein können. Da muss man sich schon fragen, wer kann diese Anforderung eigentlich erfüllen? Ich glaube ein Großteil der Menschen, die damit gemeint sind, werden das schlicht nicht können. 

Und da rede ich nicht nur von den Akademikern, die vielleicht ehe einer offenere Haltung und auch regionale Flexibilität besitzen, weil es einfach zu ihrem Berufsbild gehört. 

Ich denke vor allem an z.B. Schülerinnen und Schüler, die einen viel größeren Unterstützungsbedarf haben, an die jungen Leute, die mit ihrer großartigen Motivation mit ihren Möglichkeiten gerade mal einen Hauptschulabschluss erhalten. Wo bleiben die bei all den Ansprüchen? 

Ich weiß, dass es für solche Schüler und Schülerinnen einfacher ist im Berufsleben Fuß zu fassen, wenn sie klare Strukturen haben, wenn sie wissen was auch noch in einem Jahr ist, sie Sicherheit haben und für diese Menschen sind die veränderten Arbeitsbedingungen tödlich. 

Und darauf haben wir noch überhaupt keine Antwort. Und es muss unser Anspruch sein, ob von der Caritas oder der Gesellschaft die Gruppe der Verlierer so klein wie möglich zu halten. Und die kann man auch nicht damit totschweigen, indem sie ein bedingungsloses Grundeinkommen bekommen und damit beginnt eine weitere Kette an Fragen. 

Wie wird in Zukunft unser soziales System finanziert werden, wenn wesentlich mehr mittelfristig Automatisiert wird. Bei einer Maschinensteuer sind so viele Fachfragen und Unklarheiten, dass ich mir nicht sicher bin, ob das überhaupt funktionieren kann. Aber was sind unsere Alternativen zur Absicherung unseres Sozialstaats?“ Das sehe ich noch gar nicht.

Ein dritter Punkt, den du auch schon angesprochen hast, ist die Flexibilisierung der Arbeitszeit, ich persönlich sehe das als großes Geschenk. Meine Frau und ich haben zwei Kinder, die noch recht klein sind und flexible Arbeitszeiten macht das Familienleben noch mal um ein vielfaches einfacher, vor allem wenn ich weiß, dass ich mal Mittags um 3 Uhr aus dem Büro gehen kann oder wenn das Kind morgens einmal krank ist, ich auch erst um 10 Uhr starten kann. 

Und dafür kann ich persönlich auch locker noch einmal Abends, wenn die Kinder schlafen, den PC noch einmal anmachen und eine Stunde arbeiten, mir persönlich macht das nichts aus. 

Ich weiß aber auch, dass es andere Leute gibt, die das erheblich unter Druck setzt. Für die ist das kein Zugewinn von Freiheit, sondern ein erheblicher Schub an Stress ist, weil die Arbeit eben nie zu Ende ist. Ich denke da müssen die Arbeitsbedingungen und Regelungen nochmal völlig neu und klar definiert werden, so dass man eben nicht damit überfordert ist. 

Aus meiner Sicht wird da von den Gewerkschaften aus noch zu wenig getan, aber ich mag mich da auch arg täuschen, da ich da nicht so nah dran bin. 

Da komme ich auch zu deiner Eingangsfrage, was es die Caritas angeht. Wir gestalten auch Sozialpolitik mit und wir würden einen Teil unserer Arbeit nicht mehr machen, wenn wir diese Aspekte nicht mehr im Blick behalten würden.

CM: Die Soziale Arbeit hat schon immer auch die Sozialpolitik innegehabt. Wenn ich es einfach plakativ formuliere, bei all den neuen Möglichkeiten der flexiblen Arbeit, Digitalisierung und dergleichen, wer außer der Sozialen Arbeit soll auf die Verlierer aufmerksam machen? 

Das Produktivität und Effizienz eben nicht die einzigen Aspekte sind. Alle anderen Player haben kein Bedürfnis oder keinen Grund dazu, dies zu tun. Die soziale Arbeit hat jedoch den Auftrag dazu.

Du hast vorhin Mobilität angesprochen, in zwei Projekten versuchen wir dieser Frage auf den Grund zu gehen. Wie wirkt sich das Ganze auf den Menschen aus, auf seine Verwurzelung, soziale Netzwerke und Zugehörigkeitsgefühl aus?

RK: Das ist schon fast eine rhetorische Frage, die permanente Mobilität ist tödlich für jede Form des sozialen Zusammenhalts.  

CM: Das ist die Frage die in der Forschung zu beantworten wird. Kann das Ausgeglichen werden für eine Generation, für die das Normal ist, indem ich eben diese digitalen Netzwerke bilde. Die Frage kann ich nicht beantworten, aber das sind eben Entwicklungen, die wir sehen.

Dazu etwas, ich habe vor ein paar Wochen das wirklich brillante Buch Herfried Münkler und seiner Frau gelesen „Die neuen Deutschen“, das wurde vor drei Jahren veröffentlicht als die vielen Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind und die beiden Münklers gehen da auch auf Philosophien von Migrationsbewegungen sprich Flexibilität oder stationärem Leben ein. 

Und das ist etwas, wo man von einem Lob des Nomadentums sprechen kann und das betrifft nur einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung. Sind wir einmal realistisch, jeder Mensch sucht sich ja Freunde, die relativ ähnlich ticken. Und ich kann mir z.B. nicht vorstellen jedes Jahr aufs Neue in eine neue Stadt zu gehen, neue Freunde zu finden und das wird bei meinen Freunden nicht anders sein. 

Man muss als Mensch dafür gemacht sein, eine Tendenz zu reisen haben. Wenn ich selbst schaue, ich bin 1993 nach Osnabrück gekommen, wie lange ich gebraucht habe neue Freunde zu finden, einen Bekanntenkreis aufzubauen und ich bin nicht gerade schüchtern. Es gibt aber Menschen die tun sich mit sowas schwer und die vereinsamen dann an so etwas und da hilft auch kein soziales Netzwerk.

CM: Heute ist die moderne Bewegung des digitalen Nomadentums und ich kann die Faszination dahinter auch verstehen. 

Aber da fragt sich der Sozialarbeiter in mir, wie die digitalen Nomaden sich selbst sehen. 

Viele, auch wenn ich das sicherlich nicht verallgemeinern möchte, schauen in welchem Staat sie dann Leben um so wenig Steuern wie möglich zu zahlen, nicht teil eines Solidarsystems zu sein, das dann aber natürlich gleichzeitig massiv geschwächt wird. 

Das soziale Gefüge lebt davon, dass man sich einbringt und wenn ich mich dem entziehen kann, indem ich sonst irgendwo außerhalb von Deutschland meine Unternehmensgründung habe, dann kann ich vielleicht die Vorteile nutzen, aber nicht einzahlen. 

Und das wird für den Staat nur funktionieren, wenn das nur ein ganz kleiner Teil macht, machen das alle, dann kann unser System wie es jetzt ist nicht mehr weiterbestehen.

RK: Das haben wir aber auch im analogen Bereich und das EU weit. Wenn man sich die Werkvertragsarbeiter anschaut oder die Schwarzarbeiter, auch im sozialen Bereich z.B. der Pflege. Sprich die illegalen oder halb legalen privaten Pflegedienste die am System vorbei gehen, die Menschen die so etwas tun, machen das aus wirtschaftlicher Notwendigkeit. 

Wir haben solche Arbeiter schon in großer Zahl um uns. Rumänen, Polen und dergleichen, die aus der wirtschaftlichen Notwendigkeit schon fast sklavenartige Arbeit leistet und da ist keiner begeistert von. Schaut man auf das Beispiel das du genannt hast, dann glaube ich wird das wirklich ein sehr kleiner Teil sein.

CM: Man braucht ja auch die Fähigkeiten und Skills, habe ich die nicht, dann kann ich eben auch nicht als einer dieser Digitalisierungsnomaden arbeiten.

RK: Die Frage die sich da für mich eher stellt, was ist mit den Uber-Fahrern und Logistik-Lieferanten. Die zwar analog durch die Gegend fahren, aber Digital gesteuert werden. Und das ist etwas, da muss man auch noch einmal sehr genau hinschauen. 

Uber-Fahrer stehen im Standby, die haben keine festen Arbeitszeiten, sondern sind Abrufbereit. Und stehen dann noch unter einem unglaublich hohem Bewertungsdruck. Das ist eine ganz eigene Facette des digitalen Wandels die man unbedingt beachten muss.

CM: Und das ist auch wieder etwas, wo wir keinerlei Schutzgesetzgebung haben, sprich Arbeitsrecht ist für diese Zielgruppe nicht wirklich gegeben. Das zeigt aber auch, wie wichtig es ist, dass die ganzen großen Player, seien es die NGOs, der Caritasverband, andere große Verbände mit genug Schlagkraft, großen Einfluss auf die politische Prozess und Entwicklungen haben und diese auch nutzen.

RK: Da ist es wichtig, dass die Wohlfahrtsverbände sich mit anderen großen Playern abstimmen und Konzepte entwickeln. Das passiert hauptsächlich in der Bundes- und Landesebene und ist damit Spitzenverbandsaufgabe.

CM: Und das ist auch gut so, dass wir da gewachsene Netzwerke haben, die genutzt werden. Ich mache ein wenig Lobbyarbeit und weiß daher wie groß die Lobbyverbände und die Lobbyorganisation der anderen Seiten wirtschaftlich sind und da ist schon eine Menge Power dahinter.

Was sollten (junge) Menschen für die (digitale) Soziale Arbeit mitbringen?

Jetzt haben wir schon über eine Stunde, das wird definitiv ein Zweiteiler werden. Aber zum Abschluss noch zwei Fragen. Was ist dein Wunsch an junge Leute, die in der sozialen Arbeit arbeiten wollen, digital auch schon affiner sind? Was sollten sie mitbringen?

RK: Neugierde und den Mut Fragen zu stellen. Das gilt aber für alle Menschen, die mit Menschen arbeiten. Stellt Fragen und das nicht nur an eure Klienten, sondern auch wenn ihr zur Caritas kommt.

Stellt Fragen zu den Abläufen, zu den Organisationen, die ihr hier antrefft. Fragt, wenn euch etwas nicht plausibel erscheint. Wenn ihr Ideen habt bringt die ein, natürlich hat das auch Grenzen. Wir hier haben ein sehr offenes Klima. 

Wir nutzen die Chance neue Mitarbeiter sich einbringen zu lassen, ihre Offenheit zu nutzen, die vielleicht bei uns schon Betriebsblindheit ist. Zu schauen, dass sie uns Impulse geben können. 

Ansonsten wünsche ich mir Leute, egal ob jung oder alt, die einfach Spaß haben an ihrer Arbeit. Viele junge Leute denken ja bei den Wohlfahrtsverbänden daran, dass sie etwas alteingesessen sind und unsere Traditionen haben. 

Hier möchte ich ein wenig den Bogen schlagen und sagen, dass wir in unserer Tradition gelernt haben, uns immer wieder auf neue Begebenheiten einzustellen und mitzumachen. 

Dafür wünsche ich mir junge Kolleginnen und Kollegen, die noch einmal mit einem frischen Blick auf so etwas schauen können und da sind wir jetzt wieder beim digitalen. Leute, die in dieser Generation groß geworden sind und für die so etwas normal ist.

Ich musste mir das alles aneignen und ich finde es immer wieder spannend, dann mit jungen Kollegen ins Gespräch zu kommen, weil da für mich dann auch befremdliches bei ist, was für diese Generation aber normal ist.

Hör- und Leseempfehlungen

CM: Und noch eine Bonusfrage, ich sehe hier viele Bücher liegen. Hast du noch eine Leseempfehlung, die du gerade empfehlen würdest?

RK: Ich hab eine Hörempfehlung. Ich höre ganz aktuell von Marc-Uwe Kling „Qualityland“, das kann ich nur empfehlen. Kling schildert ein Land in einer nicht allzu fernen Zukunft, das komplett durch digitalisiert ist. 

Darüber kann man lachen, es ist zum Teil etwas absurd, aber es stößt auch die Frage an, ist das wirklich das, wo wir hinwollen? Wenn wir nein sagen, dann müssen wir aber auch bereit sein alles so zu gestalten, dass wir dahin kommen, wo wir auch hin wollen.

Und das ist dann auch direkt die zweite Hörempfehlung für jeden, der sich damit etwas genauer beschäftigen möchte. Die Podcasts des deutschen Ethikrats. da gibt es richtig brillante Sitzungen und Veranstaltungen, die auf der Seite des Ethikrats zu finden sind und sich mit dem Thema Digitalisierung beschäftigen. 

Die sind immer etwas länger so 90 Minuten rum, aber wenn man sich dafür interessiert, dann ist das eine Fundgrube an einer hochdifferenzierten und dabei gut verständlichen Aufbereitung des Themas.

CM: Das ist aber nichts, was ich nebenher hören würde. Das ist schon schwere Koste und die muss man hören wollen.

RK: Und bevor wir zum Lesen kommen noch zwei Filmtipps. Black Mirror ist eine Science Fiction Serie, die es glaub ich nur auf Netflix gibt. In Black Mirror werden in Kurzfilmen von 40 bis 60 Minuten viele verschiedene Facetten der nahen Zukunft aufgefächert und das so brillant und gut inszeniert, dass ich am Ende immer nachdenklich bin. 

Und als Kinofilm empfehle ich dringend den Film „Her“. Spielt auch in einer nicht allzu fernen Zukunft und der Protagonist verliebt sich in die Stimme seines Betriebssystems. Brillant dargestellt und wirft auch nach mehrmaligen Gucken noch Fragen, über die man nachdenkt.

Und als Lesetipp zum Einstieg Christoph Kucklick „Die granulare Gesellschaft“. Das Buch ist auch schon ein paar Jahre älter und damit nicht mehr ganz auf der Höhe, aber Kucklick bringt Dinge extrem gut auf den Punkt. Er beschreibt Chancen und Risiken in einer ganz überraschenden Perspektive. 

Und bei den Chancen und Möglichkeiten noch einen Tipp geschrieben von Viktor Mayer-Schönberger und Kenneth Cukier und heißt einfach „Big Data“. Wenn man sich ein bisschen einlesen möchte was Big Data meint, hat man da eine super Grundlage. 

Und für die richtigen hardcore Leser unter euch mein letzter Tipp, da gibt es ein Buch, dass sich mit der Möglichkeit beschäftigt den Menschen evolutionär weiterzuentwickeln und heißt „Designobjekt Mensch“. Das ist ein Sammelband wo zum Teil auch sehr kritisch über diese Facetten diskutiert werden. Darauf muss man sich einlassen, aber das Buch lohnt sich wirklich.

CM: Das war jetzt viel Input, ich verlinke natürlich alles soweit. Diesmal war es aber sehr viel, deswegen geht ins Blog und lest es dort. 

Wenn ihr Fragen habt oder eigene Empfehlungen kommentiert das Ganze natürlich und gebt uns gerne Input und Feedback. Roland wird Bescheid wissen, wenn der Podcast online ist und ich gebe Fragen dann auch weiter. 

Wenn ihr konkrete Fragen habt, dann gebt das gerne weiter, wir freuen uns darüber. Bis der Podcast raus ist, ist er hoffentlich auch auf Ancor, das heißt ihr könnt da auch gerne via Audio fragen.

Mehr Infos zu Roland Knillmann

Zum Abschluss die allerletzte Standardfrage: Roland wo findet man dich überall?

RK: Ich bin bei Facebook unterwegs, einfach Roland Knillmann eingeben und dann findet man mich. Auf Twitter ist mein Twitteraccount R.Knillmann und meine Arbeit ist reichlich auf der Caritas Seite zu finden, aber Facebook und Twitter sind die Kanäle, wo ihr mich am schnellsten findet.

CM: Ich bedanke mich bei dir Roland, es hat sehr viel Spaß gemacht und natürlich auch meinen lieben Zuhörerinnen und Zuhörern, ohne die das hier alles wenig Sinn hätte. Und auch schon mal danke für euer Feedback. Solltet ihr es nicht öffentlich machen wollen, dann könnt ihr dies auch gerne mit nicht öffentlichen Nachrichten machen.


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